Geschrieben von Alissa Parr, Ph.D., Senior Consultant
Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich um eine Stelle. Sie haben mehrere Schritte im Einstellungsprozess absolviert, und es fehlt nur noch das Bewerbungsgespräch mit der Personalverantwortlichen. Betrachten Sie diese beiden Situationen:
Situation 1: Sie kommen zum Bewerbungsgespräch und die Personalverantwortliche bittet Sie, in ihrem Büro Platz zu nehmen. Sie wirkt sehr aufgeregt und sucht verzweifelt nach Ihrem Lebenslauf. Nach einigen Augenblicken beschließt sie, das Gespräch zu beginnen, obwohl sie keine Fragen oder Unterlagen vor sich liegen hat. Sie stürzt sich gleich auf ihre erste Frage: „Erzählen Sie mir mehr über sich – wie würden Sie Ihre Stärken und Schwächen einschätzen?“ Sie stellt noch ein paar Fragen, scheint aber ziemlich abgelenkt zu sein, weil sie auf ihrem Handy Benachrichtigungen erhält. Sie beendet das Gespräch nach 20 Minuten, sagt Ihnen, dass sich jemand bei Ihnen melden wird, und führt Sie zur Tür.
Situation 2: Als Sie zum Bewerbungsgespräch kommen, begrüßt Sie die Personalverantwortliche und bittet Sie, in ihrem Büro Platz zu nehmen. Sie gibt Ihnen einen Überblick darüber, was Sie während des Bewerbungsgesprächs erwarten können. Nachdem sie Sie gefragt hat, ob Sie erste Fragen haben, fährt sie mit einer Reihe von verhaltensbezogenen Fragen fort, die Ihnen die Möglichkeit geben, Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen zu beschreiben. Anschließend beantwortet sie die Fragen, die Sie zur Stelle und zum Unternehmen haben. Sie erklärt Ihnen die nächsten Schritte des Auswahlprozesses, dankt Ihnen für Ihre Zeit und führt Sie zur Tür.
Welche Situation klingt für Sie angenehmer? Ich würde auf jeden Fall Situation 2 vorziehen. Insgesamt war die Bewerbererfahrung sehr viel positiver.
Eines der Ziele von Auswahlsystemen ist es, sicherzustellen, dass die Bewerber:innen eine positive Erfahrung machen. Denn ob sie nun eingestellt werden oder nicht, sie könnten immer noch Ihre Kunden sein oder ihre Erfahrungen mit Ihrem Unternehmen an andere weitergeben. Wir wissen, dass die Bewerbererfahrung wichtig ist, aber eine Reihe von Forschern hat kürzlich untersucht, wie wichtig die Reaktionen der Bewerber:innen für den Prozess sind. Sie untersuchten insbesondere, wie die Reaktionen der Bewerber:innen und andere Faktoren (z. B. Übereinstimmung zwischen Person und Unternehmen, Image des Unternehmens) mit der Wahrscheinlichkeit zusammenhängen, dass der Bewerber/die Bewerberin ein Stellenangebot annimmt. Obwohl dies nach einer sehr einfachen Studie klingt, haben bisher nur zwei Studien solche Zusammenhänge untersucht.
Einer der wichtigsten Faktoren für die Reaktionen der Bewerber:innen ist die Wahrnehmung von Fairness und Gerechtigkeit. Dazu gehört unter anderem die Frage, ob sich die Bewerber:innen respektvoll behandelt fühlen, ob sie rechtzeitig über das Verfahren informiert wurden und ob sie die Möglichkeit hatten, ihre Erfahrungen mitzuteilen. In der Studie befragten die Forscher Bewerber:innen, die sich um eine Stelle beim Militär bewarben. Die Teilnehmer:innen beantworteten eine Reihe von Fragen zur Messung der wahrgenommenen Fairness, der Übereinstimmung zwischen Person und Organisation und des wahrgenommenen Images der Organisation. Sie untersuchten, wie diese Faktoren mit der Annahme eines Stellenangebots zusammenhängen.
Insgesamt stellten sie fest, dass Fairness ein signifikanter Prädiktor für die Annahme eines Stellenangebots ist. Während sowohl Fairness als auch die Übereinstimmung zwischen Person und Organisation die Akzeptanz eines Stellenangebots erheblich vorhersagten, hatte die Wahrnehmung von Fairness doch einen viel stärkeren Effekt. Das bedeutet, dass die Wahrnehmung von Fairness und Gerechtigkeit sehr wichtig ist, wenn es darum geht, ob Bewerber:innen ein Stellenangebot annehmen.
Um das Ganze ins rechte Licht zu rücken: Schätzungen gehen davon aus, dass US-Unternehmen 3.500 Dollar pro Mitarbeiter:in für die Einstellung ausgeben. Es wäre für alle Unternehmen von Vorteil, wenn dieses Geld nicht für qualifizierte Bewerber:innen verschwendet würde, die eine Stelle aufgrund negativer Haltungen während des Einstellungsprozesses ablehnen. Als Personalverantwortliche:r müssen Sie sicherstellen, dass der Bewerber/die Bewerberin eine positive Erfahrung macht und den gesamten Prozess als fair empfindet.
Im Folgenden finden Sie einige praktische Tipps, mit denen Sie eine positive Bewerbererfahrung ermöglichen können:
- Stellen Sie sicher, dass alle Schritte des Prozesses arbeitsbezogen und für alle Bewerber:innen einheitlich sind.
- Geben Sie den Bewerber:innen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
- Behandeln Sie alle Bewerber:innen mit Respekt und achten Sie darauf, dass Sie keine irrelevanten/unzulässigen Fragen stellen.
- Geben Sie den Bewerber:innen die Möglichkeit, während des gesamten Gesprächs Fragen zu stellen.
- Seien Sie in jeder Kommunikation ehrlich.
- Übermitteln Sie Feedback rechtzeitig.
Quelle: Harold, C. M., Holtz, B.C., Griepentrog, B.K., Brewer, L.M., & Marsh, S.M. (In Press). Investigating the effects of applicant justice perceptions on job offer acceptance. Personnel Psychology.